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Meine Oma - eine kleine Lebensgeschichte

Updated: May 31, 2023

Ich habe meine Oma, als sie 92 Jahre war, etwas zu ihrer Vergangenheit befragt. Sie hat mir auch viel über das Leben ihres Vaters erzählt. Viel Spaß beim Hören und Lesen und schreibt gern eure Eindrücke und Fragen unten in das Kommentarfeld!


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1. OMAS ERSTES HAUS


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Juliane: Wo habt ihr gewohnt als du geboren bist? Als Edeltraud geboren ist? Hilde: Da haben wir in Mühlberg gewohnt, bei meiner Mutter. Also wo meine Mutter zu Hause war, bei den Eltern. Und da ist auch der Papa hingekommen, mein Vater. Juliane: Wo war das? Hilde: Das war in Mühlberg. Juliane: Das ist die heutige Tschechei dann? Hilde: Ja, ja. Juliane: Ja. Hilde: Bei Neudek. Und die haben da ein Haus gehabt und ich glaube eine Kuh. Der Misthaufen war vor der Tür. Und dann ein großes, großes Zimmer - Küche, nicht Zimmer. Und daneben war, wo die Großeltern, ... ob die oben gewohnt haben oder daneben, das weiß ich nicht mehr... aber oben, nein... an der Seite war ein Zimmer, und da haben wir gewohnt. Bis ich,... wie alt war ich, wo wir weggezogen sind? Ein halbes Jahr. Juliane: Oh! Da kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Hilde: Nein. Nein. Ein halbes Jahr muss ich gewesen sein. Edeltraud, glaube ich, vier. Da sind wir nach Neudek gezogen. Ein halbes Jahr werde ich gewesen sein. Ja, ich habe da doch so ein Bild. Das Familienbild. Ja, da war ich ein halbes Jahr. Da war Ostern. Juliane: Okay. Hast Du ein Bild mit dir als Baby? Hilde: Gutes halbes Jahr. Ja, ja. Muss ich mal raussuchen. Juliane: Wo habt ihr dann in Neudek gewohnt? Hilde: Zur Miete haben wir da gewohnt. Bei einer Familie und Papa war irgendwie bei der Wach- und Schließgesellschaft tätig. Die haben nachts irgendwie, so wie jetzt dieses... weißt du, die bewacht, die Geschäfte. Juliane: So eine Art Wachdienst? Hilde: Ja, so.


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2. DAS ZWEITE HAUS

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Hilde: Und dann, wie ich sechs Jahre wurde, da sind wir nach Bernau gezogen. Da hat Papa dann in diesem Konsumhaus, weißt du... wo die Bilder da sind.... da hat er die Verkaufsstelle übernommen. Juliane: Bernau wo? Nicht Bernau bei Berlin oder? Hilde: Nein. Nein. Juliane: Wo war das? [Hilde sucht Fotos raus.] Ach so, du meinst, wenn wir uns die Fotos dazu angucken, ...? Hilde: Ja, ja. Das Foto vor allem, vom Konsum, wo er da gearbeitet hat. Das hier. Juliane: Das hier? Hilde: Da war ich sechs Jahre. Da sind wir in das Haus gezogen. Da war unten... das Geschäft hat er übernommen sozusagen. Das ist eine Konsumgenossenschaft gewesen, und die wurden beliefert von Karlsbad. Weißt du? Die Geschäfte wurden beliefert von Karlsbad. Und da gab es alles. (Es) Gab einmal eine Woche, wo es da... Bettfedern, glaube ich, sind da drinnen, nicht? (Da) Gab es mal eine Woche das Angebot, so... also als Zusatz, wie jetzt so. Verstehst du? Dann war mal das im Angebot und das. Aber eben (ein) Lebensmittelladen war es. (Es) War ein Lebensmittelgeschäft. Juliane: Das war mit sechs? Bist du da zur Schule gekommen? Hilde: Da bin ich zur Schule gekommen. Wie wir hinzogen, bin ich da zur Schule gekommen, ja. Aber das war nicht mit sechs Jahren. Da war ich schon älter. Das war dann... da war ich schon älter. Da waren dann... die Familie... Die hier drauf sind, die waren zu Besuch bei uns. Und das war auch zur selben Zeit, wo die Familie bei uns zu Besuch war. Das war die andere Seite. [Sie zeigt das zweite Foto.] Wir haben alleine in dem Haus gewohnt, weißt du? Sehr schön. Das war das Schlafzimmer, das war die Küche, und hier vorne war auch noch das Küchenfenster. Und da war dann ein Zimmer für die sozialdemokratischen Genossen, so ein Sitzungszimmer, in dem Haus.


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3. DIE FALKEN & PRAG

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Hilde: Das waren ja die Falken. Da waren die Kleineren dabei. Naja, auch größere. Ich war die Kleinste.

Juliane: Und die Süßeste.

Hilde: Ich war die Kleinste. Da sind wir mal wohin, nach Falkenau oder irgendwohin gefahren. Papa war immer tätig, parteilich, immer tätig. Überall war er dabei. Von den Falken aus sind wir auch mal... eine kleine Gruppe nach Prag gefahren. Das war auch so, vielleicht... ... war ich auch noch ganz klein. So in dem Alter. Und da habe ich das erste Mal so Straßenbahnen gesehen in Prag. Und das hat mir so gut gefallen. Und dann sind wir zum Hradschin hoch und haben da... die Uhr haben wir besichtigt und alles. Es war wunder-, wunderbar für mich. Das war so eine kleine Gruppe.

Juliane: Und was habt ihr da gemacht in dieser Gruppe? Also, gab es da wöchentliche Treffen oder war das nur in den Ferien?

Hilde: Ja, das weiß ich nicht mehr. Das weiß ich nicht mehr, was wir alles... Also Singen und Spiele. Gesungen, sehr viel gesungen.

Juliane: Und viel in der Natur dann auch, oder?

Hilde: Auch in der Natur. Ja.


4. DIE FLUCHT NACH KLADNO


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Hilde: (Ich) weiß gar nicht was ich Dir erzählen soll von Papa? Juliane: Also er hat dann hier gearbeitet und... ? Hilde: Ja. Bis '38. Dann waren da die Aufstände, da haben die Nazis die Sozialdemokraten traktiert. Juliane: Da waren die Aufstände. Hilde: Da haben die Nazis die Sozialdemokraten dermaßen traktiert. Und dann war ja auch bald... ist Hitler über (das) Sudetenland hergefallen. Hat alles eingenommen. Und wir sind vorher, aber die Zeit weiß ich eben nicht mehr, ... Bevor eben die Nazis eingezogen sind, also gekommen sind, sind wir geflüchtet nach Karlsbad. Das heißt nach Kladno. Juliane: Also ihr seid direkt vor den Nazis geflüchtet? Hilde: Ja, mit dem Zug. Ja, sind die Sozialdemokraten, eben die Funktionäre.... Juliane: Weil sich das herumgesprochen hat.... Hilde: Ja, dass die kommen und alles niedermähen. Und da sind wir geflüchtet. Und Papa... mit mehreren Familien und alles eben solche Familien, wo die Väter eben Funktionäre waren, nicht?

5. BEI FRAU FROLIKOVA



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Hilde: Ja, und da sind wir nach Kladno... das heißt, der Ort hieß Pritocno, der ist bei Kladno gewesen. Und... das weiß ich eben alles nicht mehr so genau. Jedenfalls war da eine Frau Frolikova. Der Mann war Bürgermeister. Und die sind dann hingekommen und haben eben, ... ich war mit die Kleinste, haben eben die Kinder zu sich mitgenommen, zum Schlafen in die Wohnung. Und die hatten da so ein kleines Haus, aber das gehörte ja der Mutter. Und da konnte ich mitkommen, sollte ich mit und ging auch mit. Und da habe ich aber geweint, ich wollte nicht von den Eltern weg.

Juliane: Ja, klar. In so einer Situation.

Hilde: Und da habe ich gesagt: „Nein, ich bleibe nicht.“ Und ach, da war ein Theater. Und dann haben sie gesagt, die Mutti soll mit dableiben. Aber wie lange das alles ging, das weiß ich alles nicht. Jedenfalls war die Mutti mit da. (Da) haben wir beide auf dem Sofa geschlafen. Die waren gerade jung verheiratet und haben da auch nur bei den Eltern eben,... war ein kleines Haus, so niedrig, wie so ein Weberhaus... (Da) haben die auch nur eine kleine Wohnung gehabt.

Juliane: Und die haben euch dort aufgenommen?

Hilde: Ja.

Juliane: Nur Euch?

Hilde: Nur uns, ja.

Juliane: Da waren dann mehrere Familien, die haben dann jeweils ein paar Leute aufgenommen?

Hilde: Ja, genau.

Bemerkung: Nur die Kinder wurden in den Wohnungen aufgenommen. Die Erwachsenen mussten für einige Zeit in einer Scheune wohnen.


6. SPÄTES WIEDERSEHEN


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Hilde: Und die Frau Frolikova, mit der hatten wir noch Kontakt wie ich verheiratet war, in Erfurt. Da ist die zu uns noch nach Erfurt gekommen. Juliane: Echt? Ok. Hilde: Ich habe noch Briefe da von ihr. Ja. Und wir sind ein paar Mal bei ihnen gewesen. Günther, mit dem Auto. Und da hat sie immer gesagt: „Günther...“ - Die hat perfekt Russisch gesprochen, das waren Kommunisten, ja? Und da hat sie immer gesagt: „Günther, wir fahren mal zum Tanken.“ Und dann hat er gesagt: „Nein, nein. Ich habe schon getankt.“ Der wollte nicht, dass sie bezahlt, ja? Juliane: Ach so, ok. Hilde: Und dann hat sie gesagt: „Günther, du fährst wohl mit Wasser. Du kannst doch nicht immer getankt haben.“ Und die Bilder müsstest du mal sehen, von Frau Frolikova. Das war eine ganz liebe Frau. Die hat auch den Peter so gerne gehabt. (Das) Ist auch im Buch drinnen, wie sie uns in Erfurt besucht hat, ja. (Da) War sie mit einer Gruppe in Erfurt. Sie konnte wenig Deutsch, aber sie hat immer wieder geschrieben, oder hat schreiben lassen dann. Und die Mutter war auch so wunderbar. Die war dann alt geworden. (Sie) Haben dann im Neubau in Kladno gewohnt. (Da) Haben wir sie besucht und auch Genossen. Und zufällig war so ein Genosse bei der Benzina. Das ist eine, genau wie hier die Minol war, war da die Benzina. Und da war ein Kommunist, auch, in der Benzina. Und die kannte den... die Frau Frolikova, die waren so befreundet. Und da ist Günther, noch bevor er starb, noch, hat er ihn noch besucht. (Da) War er im Krankenhaus und er hat ihn noch besucht, der Günther. Und da war die Frau Frolikova so stolz, dass wir eben immer zusammengehalten haben von damals noch. Ja, ich habe Bilder. Ich habe auch Bilder, wo ich als Kind da war, in Prag. (Da) Habe ich auch Bilder.



7. PAPA, FAHR NICHT ALLEINE WEG!

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Hilde: Ja, nach Kladno sind wir geflüchtet. Eben... Nein, da waren wir nicht lange. Ich war auch in dieser Scheune, wo wir alle untergebracht waren. Die ganzen Menschen waren da untergebracht, die dann kamen, mit dem Zug. Und da kam die Nachricht, da haben sie gesagt: „Die Männer können nach England emigrieren.“ Und die Frauen und die Kinder sollen wieder zurückfahren. Wie ich Kind war, habe mich ja nicht so viel interessiert. Ich habe das nur empfunden und gemerkt. Ach so, und da hat die Edeltraud... das sehe ich noch, wie die Nachricht kam. Ich sehe noch wie Edeltraud sich um Papa geklammert hat und gesagt (hat): „Papa, fahre nicht alleine weg. Komm mit uns nach Hause.“ Und manche haben gesagt: „Ihr habt ja nichts gemacht! Ihr könnt nach Hause fahren. Der Hitler ist nicht so. Und da wird nichts passieren.“


8. INS ZUCHTHAUS

Bemerkung: Ein Zuchthaus ist ein Gefängnis.


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Hilde: Und der Papa ist nicht mal in die Wohnung gekommen. (Da) Haben sie ihn gleich... Am Zug, am Bahnhof haben sie ihn gleich gefangen genommen. Die Nazis haben ihn sofort eingesperrt. Und dann kam er ins Zuchthaus nach Zwickau und da war sogar... hat die Mutti sogar gesehen, wie der Wagen, ... da war so ein Lastwagen, da kamen die Leute alle rauf, die Sozialdemokraten, die eben vom Hitler festgenommen wurden... Die kamen rauf... wie Viehzeug wurden sie auf den Lastwagen (gebracht) und wurden nach Zwickau (gefahren)...

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9. DAS KZ

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KZ = Konzentrationslager



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Hilde: ... und von dort, von dem Zuchthaus aus ging es nach Dachau in das Konzentrationslager. Und da hat er sehr Schweres erlebt. Er hat dann jahrelang überhaupt nicht davon sprechen können. Aber wie er wieder nach Hause kam, 1938. Er kam... 1938, war das. Und er kam 1939... Am 20. April, Hitlers Geburtstag, wurde er entlassen. Da kam er nach Hause und hat eine Glatze gehabt und ganz dicke Backen (ein) ganz aufgeschwemmtes Gesicht. Haben sie vorher noch so aufge..., die sie entlassen haben, die Leute... weißt du? Er war ja... Es war ja ein gutes halbes Jahr, wo er da war, in Dachau.

Juliane: Was haben sie da gemacht?

Hilde: Na so ernährt, dass er... dass er so aufgeschwemmt war. Dickes Gesicht und...

Juliane: Ach so, damit er besser aussieht, als es ihm geht?

Hilde: Ja, damit er besser ausgesehen hat.


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10. ARBEIT NACH DEM KZ


UFA = Universum Film AG (ein Filmunternehmen)


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Hilde: Und von dort aus, 1938, 1939 war das, sind wir im Sommer... Erst war er... Im April haben sie ihn gleich in eine Fabrik geschickt und zwar nach Johann-Georgenstadt. Da war so eine Fabrik, wo man so Töpfe hergestellt hat. Aluminiumtöpfe. Und da wurde Papa schwer krank. Und da haben sie... (da) hat er da aufgehört... Da musste er ja hinfahren. Ob er da nun wochentags da gelebt hat, oder... das weiß ich alles nicht mehr genau. (Das) Kann ich dir nicht mehr sagen... Aber jedenfalls hat er dann eine Annonce in der Zeitung aufgegeben. Er sucht im Konsum eine Beschäftigung als Verkäufer oder als... im Lager, oder irgendwas. Und da hat er etliche Angebote bekommen. Unter anderem auch in Babelsberg. Ich weiß noch... in Stendal und... ach, allerhand. Und da hat Edeltraud mitgeguckt, die war ja vier Jahre älter... (Da) Hat sie gesagt: „Du Papa, Babelsberg nimm doch das in Babelsberg an. Das ist die Stadt, wo die UFA ist. Das ist die UFA-Stadt.“


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11. UMZUG NACH BABELSBERG

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Hilde: Und da hat er geschrieben und dann hat er angenommen in Babelsberg. (Er) Hat sofort Arbeit gekriegt. In Michendorf hat er die Arbeit aber gekriegt. Weißt du? In Babelsberg war der Konsum, und die hatten da auch ihre Filialen überall. In Michendorf war eine Filiale und da hat er die Filiale in Michendorf übernommen. Also in Babelsberg selbst hat er gar nicht gearbeitet. Bis er eingezogen wurde. Im Krieg war er gut genug... Juliane: Das auch noch dazu. Hilde: Obwohl er da... Ja, wir sind dann... Vier Wochen vor Kriegsbeginn sind wir nach Babelsberg zum Schützendamm 20 gezogen. Da ist eine Familie, die ist in ihren Garten gezogen. Die hatte ihn aufgenommen, die Familie... Der Mann war Kraftfahrer beim Konsum und die Frau war Straßenbahnfahrerin. Und die beiden haben gewohnt, in der Wohnung. Und die haben ihn aufgenommen, ja. Und dann ist eine Wohnung frei geworden. Ja, ich glaube die sind irgendwie im Garten... Juliane: Also bevor die Wohnung frei wurde, wurde er noch... Hilde: ...war Papa alleine. Bitte? ... hat Papa alleine da gewohnt. Und wir noch in Neudek.

12. RÜCKKEHR NACH DER FLUCHT


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Hilde: Da mussten wir ja raus. Aus dem Haus mussten wir ja raus. Wie wir zurückkamen, wo wir geflüchtet waren... - Papa war ja nicht dabei. - Da haben hier auf der Straße... hat hier ein Auto gestanden, ein Lastauto oder so ein Wagen, nicht Lastauto, ein Wagen. Und da haben sie unsere ganzen Sachen da darauf gehabt. Was sie eben... war ja nicht mehr viel. Die Möbelstücke, unsere Bücher... Papa war bei der Büchergilde Gutenberg. Der hat jede Woche oder jeden Monat, nein jeden Monat... hat er ein Buch gehabt, gekriegt, also gekauft, natürlich, ist ja klar.

Juliane: Das haben sie einfach mitgenommen?

Hilde: Alles mitgenommen. (Ein) paar waren noch da, ja... Der war sehr für Bücher und alles.

Juliane: Also Bücher, Möbel und so. Da seid ihr in das Haus gekommen und alles war leer oder was?

Hilde: (Die) Möbel haben sie auf die Straße gestellt gehabt.

Juliane: Ach so. Warum?

Hilde: Naja, das Haus durften wir ja nicht mehr (benutzen)... Die Nazis haben das ausgeräumt. Die wollten das selber haben. Wer da reingekommen ist, das weiß ich ja nicht mehr.

Juliane: Ach so, ihr durftet dann nicht wieder dort wohnen.

Hilde: Nein. Nein.

Juliane: Wo habt ihr dann gewohnt?

Hilde: In Neudek haben wir dann ein Zimmer und (eine) Küche gekriegt. In einem Haus. Der (Mann) war so ein bisschen Nazi. Der hat uns dann Zimmer und Küche gegeben.

Juliane: Und als ihr da geflüchtet seid, hattet ihr da irgendwas mitnehmen können, oder...?

Hilde: Gar nichts. Nein, überhaupt nichts. Überhaupt nichts.

Und wie wir zurückkamen da, ja, wie gesagt, Papa war weg... und da hat der Bürgermeister, der neue Bürgermeister, der Nazi Bürgermeister... hat uns die Sachen aber nach Neudek gefahren, die noch übrig geblieben sind. Kochtöpfe und was alles, und Küchenmöbel. Und vielleicht auch Schlafzimmermöbel. Ob sie die Betten,... die werden sie auch dagelassen haben. Das weiß ich nicht mehr. Aber jedenfalls, na ja, viele Wertgegenstände hatten wir ja nicht. Wir waren ja nicht reich. Aber eben wie gesagt, die Bücher und Sachen haben schon gefehlt. Ist ja klar, nicht? Vielleicht auch Wäsche, das weiß ich aber nicht. Wahrscheinlich ja. Tischtuch und...

13. NEUANFANG IN BABELSBERG


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Hilde: Wahrscheinlich ja. Tischtuch und... Denn wir hatten ganz wenig wie wir nach Bernau... Wie wir nach Babelsberg gezogen sind, hatten wir ganz wenig. Da hat uns meine Tante, also meine Patentante, die in Karlsberg gewohnt hat, - Die war auch sehr fortschrittlich, der Gert ihre Mutter, weißt du? - ... die hat uns viel gegeben, die hat uns Tischdecken gegeben und Bettwäsche, wie wir dann in Babelsberg ankamen. Da hatten wir ja einen Umzugswagen. (Eine) Küche war da, (ein) Schlafzimmer war da. (Ein) Wohnzimmer war ja sowieso nicht. Da war ja dann ein Sofa. Papa hatte so einen Schreibtisch sich machen lassen. Das war unser Stolz. Den hatten wir natürlich im Wohnzimmer. (Ein) Sofa und einen runden Tisch, den hatte uns die Bati gegeben, den runden Tisch. Und dazu einen schöne grüne Decke und dazu zwei Bettdecken. Das war alles in Grün. Das weiß ich noch. Das hat sie uns geschenkt. Dass wir so ein bisschen (einen) Anfang hatten in Babelsberg.

14. DER ZWEITE WELTKRIEG


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Juliane: Und dein Vater ist dann in den Krieg? Wohin?

Hilde: Der ist, ja... Nach Holland ist er gekommen, ja. War es 1941 schon oder 1942? Da müsste ich nochmal nachgucken. Das ist zu erkunden, wann er weggekommen ist. Da war er gut genug, für Adolf in den Krieg zu gehen, für Hitler, nicht? Aber wie gesagt, weil er auch vielleicht nicht... weiß ich nicht... nach Holland haben sie ihn geschickt.

Juliane: Was hat er da gemacht? Hat er da was erzählt?

Hilde: Nein. Aber ich habe ein Fotoalbum, wo er Aufnahmen gemacht hat. (Ein) Fotoalbum von... wo er in Holland war. Mit den Holländern hat er immer sehr guten Kontakt gehabt. Und die eine holländische Familie, die ihn so ein bisschen aufgenommen hat, der (Mann) war Maler, der hat da die Bilder gemalt. Da, das...

Juliane: Welches?

Hilde: (Das) holländische Bild da drüben, das. [Sie zeigt auf ein Bild an der Wand.]

Juliane: Ach das hier vorne?

Hilde: Ja. Und Edeltraud hat auch so eines.

Juliane: Wer hat das gemalt?

Hilde: Der Holländer, wo sie immer so ein und ausgegangen sind. Manche Soldaten hatten da Verbindungen mit den Holländern und...

Juliane: Und die haben ihm das dann geschenkt?

Hilde: Ja. Und auch das alte Buch, "Die alte Fotografie". Das habe ich gekriegt von den holländischen Leuten.

Juliane: Echt?

Hilde: Und dann hat sie mir auch Kleiderstoff geschickt und... Die Frau war sehr sehr gut, und der Mann. Da hat Papa guten Kontakt gehabt zu den Leuten. Da ist auch ... äh... Dings drinnen.

Juliane: Eine Widmung?

Hilde: Ja, eine Widmung. Und dem Papa haben sie das Buch geschenkt. Goethe, ... das Goethe Buch da. Da ist auch eine Widmung von den Holländern drinnen.

Juliane: Konnten die Deutsch?

Hilde: Nicht viel. Aber Holländisch. Und Papa konnte immer ein bisschen Holländisch.

Juliane: Ja?

Hilde: Er konnte sich gut mit denen verstehen.

15. DER KONSUM IM VOLKSHAUS


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Hilde: Er konnte auch ein bisschen Tschechisch. Der hat auch die letzten Jahre nicht mehr hier gearbeitet, sondern weil er Tschechisch konnte, ist er nach Neudek gekommen - bevor Adolf da eingezogen ist, nach Neudek, weißt du? (Da) Hat er nicht mehr da gearbeitet, aber wir haben da noch gewohnt. (Es) War vielleicht ein Jahr oder ein halbes. Das weiß ich alles nicht mehr genau.

Da hat er in Neudek... da haben die Sozialdemokraten ein Volkshaus gebaut, wo da die Sozialdemokraten immer untergekommen sind und ihre Versammlung abgehalten (haben) und alles. Und da war ein Konsum in dem Volkshaus drinnen und den hat er dann übernommen, weil er Tschechisch konnte. Da kamen auch viele Tschechen noch, zuletzt nach...

I: War das in der Nähe der Grenze damals?

B: Na ja, natürlich. Ja. War nicht weit.

I: Und war er politisch sehr aktiv?

B: Immer aktiv. Ja, ja. Immer. Was er war, das weiß ich auch nicht. Was er damals war, das weiß ich nicht. Aber sehr aktiv, ja.

16. IM KZ


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Juliane: Und was hat er da vom KZ erzählt?

Hilde: Nicht viel. Nicht viel. Er hat nur einmal erzählt, dass sie alle da auf den Hof mussten und wer da umgefallen ist, der war dann weg, ja. Das hat er erzählt.

Und die Füße hat er erfroren gehabt. Die Zehen. Die haben lange, lange immer auf dem Hof stehen müssen, bei großer Kälte. In Dachau. (Da) War's schlimm.

17. IN ZWICKAU


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Hilde: Überlege mal. Und in Zwickau, wo er im Zuchthaus war, da hat dann später die... der Ulli ihre Familie da gewohnt, in Zwickau. Und die durfte mal hin zu ihm. Kein Mensch hat ihn besuchen dürfen, aber in Zwickau ist sie mal hingegangen. (Da) Hatte der Papa so toll Schnupfen. (Da) Hat sie ihm ihre Taschentücher alle gegeben.

18. BRIEFWECHSEL


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Hilde: Und ich habe auch noch einen Brief. I: Was für einen Brief? Hilde: Einen KZ... Das war alles so vorgedruckt, die Zeilen, wie viel man schreiben durfte und was man schreiben durfte. Hat ja jeder gewusst. I: Ja, ja. Natürlich. Hilde: Und da habe ich noch einen Brief, vom KZ Dachau. I: Also, man durfte Briefe schreiben und empfangen, auch? Hilde: Ja. Jede Woche vier... jede Woche einen oder jeden Monat einen. Das weiß ich auch nicht mehr. (Ich) Glaube jeden Monat einen. Empfangen einen und einen schreiben, glaube ich. So war es. Aber wie gesagt, das habe ich vergessen. Nicht mal zwölf war ich.

19. NACH DEM KRIEG


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Juliane: Und als er dann aus dem Krieg wiedergekommen ist, habt ihr dann zusammen gelebt? Hilde: Ja, ja. Ja, wir haben immer gewartet. Er kam sogar erst 1946 zurück. Obwohl 1945 der Krieg aus war. Aber er hat keine ehere Entlassung... war nicht eher da. Juliane: Aber ihr wusstet Bescheid, dass er lebt und dass... Hilde: Ja. Wir haben immer... da haben wir immer geschrieben gehabt. Ja, ja, im Krieg haben wir immer Verbindung gehabt, wo er in Holland war, immer. Aber es sind viele, die dann nach dem Krieg... Wo wir in der Wagener Straße wohnten, haben wir viele, die nach England emigriert waren.... die dann zurückkamen. Viele Bekannte, also nicht Bekannte, aber die gesagt haben... Juliane: Nach dem Krieg dann, oder? Hilde: Ja. Ja, ja. Und zwar auch in der Wagner Straße haben viele gewohnt, die nach England emigriert waren. Ja. Ja, mein Kind.

20. MUTTI IM KRIEG


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Juliane: Und deine Mutter, was hat die gemacht? Hat die irgendwas gearbeitet oder? Hilde: Ja, die hat... Im Krieg wurde sie verpflichtet in einem Kriegsbetrieb zu arbeiten. Und zwar hat sie da in der Küche gearbeitet. Juliane: (Das) Waren keine einfachen Zeiten, ne? Hilde: Nein. Juliane: (Das) Ist gar nicht mal so lange her. Hilde: Und dann, wie Papa in den Krieg kam... (wo sie) zwei Mädchen gehabt (hatte) und so alleine da war. Und fremd alles. (Da) Hat sie sehr darunter gelitten. (Das) Hat sie später mal gesagt. So alleine war sie da. Alle Menschen waren nur fremd, nicht? Und Papa... Juliane: Ja, ihr wart ja gerade umgezogen, als er dann wieder weg war, ne? Hilde: Ja, ja. Und man hatte noch nicht Fuß gefasst, nicht?

21. IM PFLICHTJAHR


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Hilde: Und dann bin ich in das Pflichtjahr gegangen, ein Jahr. Und in dem Pflichtjahr, da war ich bei einer Familie, ... der Mann soll... Also zu mir war er ja nicht schlecht. Der war ja auch nur fast arbeiten. Der war immer in Uniform, in SA-Uniform. Und auch in seinem Betrieb... Der hatte da einen Betrieb geleitet. Und da soll er zu den Ausländern so schlecht gewesen sein. Und der soll nach dem Krieg sofort von den Ausländern umgebracht worden sein. Das habe ich gehört. Und die sind dann alle nach Westdeutschland, die Frau mit den Kindern. Tja, eigentümliche Zeiten, nicht, Julchen... (Da) War so ein Windfang, ehe (der) Korridor kam, in dem Haus. Es war so ein Eckhaus in der Rosenstraße, wo ich das Pflichtjahr gemacht habe. Und die hießen Leidecker, wo er eben der Betriebsleiter war, und die Uniform hat er immer in dem Windfang hängen gehabt. SA-Uniform. Und die hatten so ein halbjähriges Kind, wie ich angefangen habe da zu... im Pflichtjahr. Juliane: Was hast du im Pflichtjahr gemacht? Hilde: Im Pflichtjahr, da hilft man der Familie. Juliane: Ach so. Hilde: Da macht man den Haushalt mit. Was die... also da darf man... aber... Juliane: Und da warst du bei der Familie? Hilde: Bei der Familie war ich. Juliane: Bei dieser SA-Familie? Hilde: Bei der SA-Familie. Ja. Ja. Da war ich bei der Familie und... Na ja, da sollte man alles lernen, deshalb war man im Pflichtjahr helfen und lernen. Kochen lernen und... Juliane: Und gleichzeitig denen den Haushalt schmeißen, ne? Hilde: Naja, was man... mit 14 (Jahren), da konnte man noch nicht so viel... davon ganz abgesehen. Und die Frau war sehr, sehr gut. (Es) War eine sehr nette Frau. Und er, (da) kann ich auch nicht sagen... Der war ja nie da. Ist ja klar, da war ich ja abends weg, wenn der kam. Nicht? Den habe ich ja nicht oft... sozusagen... Der war in seinem Betrieb und wenn er nun mal zu Hause war, wenn irgendwie was war... Und da habe ich eben auch gelernt, weißt du, wo man so ein bisschen schön den Tisch deckt... Die Frau war aus Hamburg und die hatte ein wunderbares Geschirr und einen so schönen Tisch gedeckt immer und alles, ach, das war... Servietten und mit Serviettenringen. Und alles... und das wurde immer alles... Ach so, mittags kam er oft nach Hause essen. Das stimmt. Ja, da kann ich mich noch erinnern. (Da) Wurde in der Veranda, wurde der Tisch gedeckt zum Mittagbrot. (Da) War (ein) Wohnzimmer, war (ein) Arbeitszimmer, ... Und da war ein halbjähriges Kind, ja. Und der Junge, der war so verliebt in mich und ich so in ihn. Ich weiß, wie ich in das Körbchen geguckt habe... das stand... In der großen Küche stand das Körbchen und er lag da drinnen. Da war ich so begeistert von dem Kind. Und der war so süß. Der hat die Arme immer nach mir ausgestreckt und ich habe eigentlich so viel für... Man sollte ja auch für die Kinder da sein. Und der war so... hing so an mir. Der hat Hilde erst gesagt, wie Mutti, so ungefähr... Juliane: Ehrlich? Hilde: Ja, er war ganz verliebt in mich. Ja. Und dann, (ich) habe auch Bilder, wo er dann darauf ist. Und dann, wenn ich spazieren gegangen bin, bin ich immer nach Hause zu mir gegangen. Und wenn wir dann... dann habe ich ihn auf dem Arm gehabt und dann, wenn er dann zu mir... zu uns hoch in die Wohnung kam, dann hat er immer so gezeigt. Wir hatten eine Speisekammer und da waren Kekse drinnen. Die hat er von Mutti gekriegt. „Ah, ah“ hat er immer (gemacht). (Da) Hat er immer Kekse von uns gekriegt und... Ja. Ich habe auch ein Bild, von dem Jungen auch.


Bemerkung: Das Pflichtjahr wurde 1938 von den Nationalsozialisten eingeführt. Es galt für alle Frauen unter 25 Jahren – sogenannte Pflichtjahrmädel/-mädchen – und verpflichtete sie zu einem Jahr Arbeit in der Land- und Hauswirtschaft. Die Mädchen und Frauen sollten so auf ihre zukünftigen Rollen als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Darüber hinaus konnte so in vielen Haushalten die fehlende Arbeitskraft der Männer, die als Soldaten im Krieg waren, kompensiert werden. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden. (Aus: Wikipedia – Pflichtjahr)



➡️ Wie hat euch dieses Zeitzeugnis gefalllen? Habt ihr irgendwelche Fragen zur Geschichte oder über ein anderes Thema, das euch interessiert, die ich meiner Oma stellen soll? Ich mache es gerne. Schreibt eure Wünsche in die Kommentare und ich werde sehen, was ich machen kann. Meine Oma wird im Sommer 95 Jahre alt. 🙂

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